Zwischen-Bilder
Iris Wien
(in: Hans Brändli. manus fabri, Agon Press, 2016)
Die Arbeiten von Hans Brändli entziehen sich einer einfachen Kategorisierung. Auch wenn man es vordergründig mit Plastiken, Wandreliefs, Installationen und Aquarellen zu tun hat, so scheinen all diese unterschiedlichen Arbeiten doch um die Frage zu kreisen, welche Erscheinungsformen das Medium der Bildlichkeit annehmen kann. Man kann diese Werke als Instrumente verstehen, mit denen sich Grenzen ausloten lassen: etwa die Grenze zwischen Anschaulichkeit und Bildhaftigkeit, aber auch die Schwelle zwischen Imaginärem und Wirklichem.
Zum Bilden und ins Werk setzen nutzt Brändli das Schmieden, das Modellieren, den Gipsguss, das Zeichnen und das Aquarellieren und damit ganz unterschiedliche Verfahren, die jeweils eigene technische Anforderungen stellen, eine eigene Geschichte und unterschiedliche kulturelle Konnotationen haben. Üblicherweise dem Handwerk zugeordnete Verfahren werden gleichberechtigt neben klassischen künstlerischen Techniken verwendet. Die Frage nach der künstlerischen Form stellt sich als ein Problem des Machens. Doch obwohl diese Arbeiten ohne ein körperlich verankertes Wissen nicht möglich wären und die intuitiven Momente, die mit dem Material- und Prozessverständnis einhergehen, wichtig sind, geht es dem Künstler nicht um eine Apotheose des Handwerks. Vielmehr interessiert die Erforschung des Bildpotentials der unterschiedlichen Vorgehensweisen.
Trochilus, ein aus Neusilber geschmiedetes Wandrelief, erinnert nicht nur wegen seines kostbar wirkenden Eierstabprofils an einen Rahmen, sondern mutet aufgrund des mehrstufigen Aufbaus und der dem Werk seinen Titel gebenden vorderen Hohlkehle nahezu wie ein Element einer alten Kamera an. Die Hohlkehle umfasst zwar nur einen relativ flachen Raum im Innern des Reliefs, doch durch ihren Abstand zur und die Spiegelung auf der hinteren Neusilberplatte gewinnt dieser eine schwer fassbare, virtuelle Tiefe. Sogartig wird der Blick eingefangen und wieder zurückgeworfen. Durch Spiegelung verdoppelt sich bei der seitlichen Ansicht auch das umlaufende Eierstabprofil auf der polierten Platte, während einzelne Aspekte des Umraums nur sehr schemenhaft als Abbild auf der matt glänzenden Fläche erscheinen und mit den Lichtreflexen der unebenen, geschmiedeten Profile interagieren. Das Objekt Trochilus erzeugt damit einen optischen Raum, in dem sich die Wirklichkeit verfängt, ohne bleibende Bilder von ihr zu vermitteln.
Auf den ersten Blick hat man es dagegen bei dem Werk Spirale (Bildantrieb) mit einem in eine gerüstartige Struktur integrierten, abstrakten Bild zu tun, dessen Status bei näherem Hinsehen jedoch vollkommen unklar bleibt. Die aus Eisenstäben geschmiedete Spirale, die von einem kubischen Gerüst in Position gehalten wird, schwebt über einer ursprünglich weiß grundierten Holzplatte, welche Überlagerungen verschiedener Farbschichten sowie ockerfarbige Spuren von ehemals auf ihr liegenden Gegenständen enthält. Die unterschiedlichen blau-grünen Farbflächen sind mittels Sprühtechnik und durch den Einsatz von Schablonen entstanden, wobei für den Betrachter nicht auszumachen ist, welche Effekte sich dem Zufall und welche sich absichtlichen Eingriffen des Künstlers verdanken. Die Spannung zwischen Zufall und Intentionalität stellt ein Moment des Fotografischen dar, – eine Assoziation, die sich beim Betrachten der farbigen Platte auch wegen der Vermeidung einer malerischen Handschrift und durch die Thematisierung des Indexikalischen einzustellen vermag. Die bildparallele Platzierung der Holzplatte unter der Spirale kann zudem an Verfahren der Bildprojektion erinnern.
Die Frage nach dem Ort und der Rolle der Bilder bei der Hervorbringung von Artefakten wird von der installativen Arbeit Kannenhaus II akzentuiert. Wie ein Stilleben werden die drei geschmiedeten gefäßartigen Körper zusammen mit der Kannenschnaupe auf einem juteüberzogenen tiefgrünen Sockel präsentiert, der aufgrund seiner Bildhaftigkeit selbst zum Teil der Skulptur wird. Das Interesse an den Formen der geschmiedeten Körper läßt an Jean Simeon Chardins Stilleben denken, in denen die Kupfer- und Messingutensilien mit ihren vom Schmiedevorgang herrührenden leicht welligen Arbeitsspuren das Licht sanft reflektieren. Die einzelnen Teile werden in Brändlis Arbeit nicht nach funktionalen Regeln zu einem Gefäß gefügt, sondern einer Assemblage gleich angeordnet. In seiner Vorläufigkeit erscheint die Zusammenstellung der Objekte wie ein offenes Spiel, das von Bildern geprägt ist, aber auch Bilder hervorbringt. Allerdings sind es nicht bestimmte Gemälde, deren Bildobjekte dann gleichsam konzeptuell in die Realität zurückübersetzt würden. Eher gehören Bilder, sowohl selbst erschaffene wie auch die Werke anderer, zum Erfahrungsschatz des Künstlers. Sie gehen vielfältig vermittelt in die installativen Arbeiten ein. So war Philip Gustons anthropomorphisierende Zeichnung einer geflickten Kanne nicht Ausgangspunkt für die Skulptur, sondern ein Zufallsfund. Brändli begegnete der Zeichnung während der Arbeit an Kannenhaus II, wobei die Zeichnung den Künstler vielleicht weniger aufgrund der zufällig so ähnlichen Form der Kanne als wegen ihres emotionalen Gehaltes interessiert haben mag. Überhaupt kann man sagen, dass das Interesse an der ästhetischen Form nicht vom Prozess der Herstellung eines solchen Gefäßes getrennt werden kann, zu dem auch die technische Herausforderung gehört.
Hans Brändli hat in einem Gespräch auf die Bedeutung der Erfahrung für seine Arbeit verwiesen. So sind in den Aquarellen einerseits in der Realität gemachte konkrete sinnliche und räumliche Wahrnehmungen aufgehoben. Andererseits eröffnet sich über die künstlerische Tat ein eigenständiger Erfahrungsraum, da der imaginäre Bildraum nur über den bildlichen Vorgang gegeben ist. Selbst die abstrakten Aquarelle und Zeichnungen haben aufgrund dieses Zusammenspiels illusionäre Aspekte. Sie verweisen auf einen möglichen Realitätsgehalt. Wie Licht und Schatten die Wirklichkeit modellieren und Effekte des Gegenlichts den Blick verstellen, kann man am Hell-Dunkel der Papierarbeiten studieren. Doch dem Betrachter scheint in den Aquarellen auch der Körper beziehungsweise die Hand des Künstlers zu begegnen, genauso wie von ihm geschaffene skulpturale Objekte zu Bildchiffren verwandelt in ihnen wiederkehren. Die skulpturale Beschäftigung mit dem realen, haptisch erfahrbaren Raum ist somit nicht von der Arbeit an und in imaginären Bildräumen zu trennen.
Mit der Arbeit Visor wird der imaginäre Raum selbst zum Thema. Das Wandobjekt aus geschmiedetem Messing und kordiertem Messingdraht spiegelt das eigene Antlitz nur sehr schemenhaft zurück. Dem irritierenden Entzug des eigenen Spiegelbilds korrespondiert die extreme Deformation des Umraumes durch das bauchige, an einigen Stellen polierte, an anderen Stellen vom Feuer verfärbte Messingblech. Zwar lassen sich die optischen Effekte der Spiegelung sowie der Brechung und Streuung des Lichts alle physikalisch erklären, doch wird der Raum in Visor auf so komplexe Weise transformiert, dass die Effekte anders als bei einem regelmäßig gewellten Zerrspiegel nicht mehr intuitiv auf Interpretationsregeln zurückführbar sind. Trotz der kausalen Abhängigkeit vom Hier und Jetzt des Ausstellungsraumes, in dem sich das Wandobjekt befindet, verliert das Spiegelbild im Visor auf diese Weise seine enge Bindung an den Referenten. Damit einher geht ein Verlust an Konkretion, die, wie Umberto Eco gezeigt hat, für gewöhnliche Spiegelbilder charakteristisch ist.1 Mit Hilfe von Brändlis Visor kann man weder in einen transparenten Dialog mit sich selbst eintreten, noch den Raum hinter dem eigenen Rücken erfassen. Die Wende des Blicks, die Visor ermöglicht, ist andersgeartet. Statt der Beherrschung und Kontrolle des eigenen Körpers im Spiegel wird das Wandobjekt zu einem Medium, durch das sich der Betrachter selbst fremd wird. Visor lässt den Spiegel als ein Schwellenphänomen bewusst werden, das die Grenze zwischen dem Imaginären und dem Symbolischen markiert.
In der Arbeit CapoNonCapo erfahren die psychologischen Implikationen des Blicks in den Spiegel eine weitere Zuspitzung. Hier deutet sich einerseits das destruktive Potential des Spiegelbildes an, anderseits hat die Arbeit aber auch eine komische, von der Labilität des Arrangements herrührende Seite. Labil ist nicht nur die Position der Gipsfigur zwischen Holzsockel und Wandspiegel, schwankend ist diese in einem Kippgussverfahren mit Hilfe einer verlorenen Negativform entstandene Figur auch in ihrer Gestalt, die je nach Betrachterperspektive menschliche, aber auch unterschiedliche tierhafte Aspekte annehmen kann. In ihrer sich wandelnden, vom löwenkopfartigen Profil bis hin zum wurmartigen Wesen reichenden Vielgestaltigkeit gewinnt die Figur groteske Züge. Wie in einem Slapstick mindert dies ihren Schrecken, der durch das Fehlen an Eindeutigkeit und Integrität der Gestalt provoziert wird.
Die Bedeutung der Bilder in Hans Brändlis skulpturalen Arbeiten erschöpft sich somit nicht darin, dass sie einen konzeptuellen Vorgriff auf zu realisierende Formen ermöglichen und dem Entwerfen von Artefakten dienen. Wie Hans Jonas in dem wichtigen, jüngst wieder vermehrt von einer anthropologisch orientierten Kunstwissenschaft diskutierten Aufsatz »Homo Pictor und die Differentia des Menschen« 1961 nahegelegt hat, spielt die Fähigkeit Bilder zu schaffen, eine weitaus grundlegendere Rolle für die Entwicklung eines Bewußtseins von Welt und Dasein. Weil Bilder es dem Menschen ermöglichen, das Reale auf Distanz zu halten und es zu überschreiten, sind sie für Jonas genuine Instrumente der Reflexion. Zugleich offenbaren sie »als Ergebnis menschlicher Tätigkeit […] auch einen physischen Aspekt der Macht, die im Bildvermögen wirksam ist: die Art Gewalt, die der Mensch über seinen Körper hat.«2 Weil aber das bildlich Dargestellte nach Jonas »aus dem Kausalverkehr der Dinge« herausgehoben und in eine autonome, nicht mehr den Gesetzen der Physik unterliegende Bildexistenz überführt wird, eröffnet es eine Alternative zum Determinismus rein zweckgeleiteter Formen der Rationalität. Die »innerlich imaginierte und vorsätzlich projizierte Form« ermöglicht so einen Spielraum der Freiheit.3
1 Umberto Eco, Über Spiegel und andere Phänomene, München 1988, S. 46.
2 Hans Jonas, »Homo Pictor und die Differentia des Menschen«, Zeitschrift für philosophische Forschung, Bd. 15, H. 2 (Apr.–Jun., 1961), S. 161–176, hier S. 174.
3 Ebd., S. 166.
Ausstellungen (Auswahl)
1982
Galerie Maier-Hahn, Düsseldorf, Hans Brändli, Bogomir Ecker, Pia Fries, André Gelpke, Arno Jansen, Astrid Klein, Bernd Minnich, A. von Nagel, Peter Telljohann
1983
Maison de congrès, Montreux, bourse fédérale des beaux-arts
1985
ACCP-Vitrine, Appellhofplatz, Köln (E)
Galerie Instant Kriens, Luzern
Palazzo dei congressi, Lugano, borse federali delle belle arti
1992
Städtisches Museum Haus Koekkoek, Kleve, Der Teppich des Lebens, Hans Brändli, Katharina Fritsch, Michael van Ofen and Stefan Sehler
Galerie Anton Meier, Genf, refuse
Kunstmuseum Aarau, Ausstellung Eidgenössisches Kunststipendium
1993
Kunstmuseum Luzern, Ausstellungspreis der Kunstgesellschaft Luzern (E)
Galerie Jablonka, Köln, Bilder und Zeichnungen (E)
Galerie Rüdiger Schöttle, München, Hans Brändli / Pia Fries / Karin Kneffel
Stephanien Straße 16, Düsseldorf, Eine Adresse – Eine Ausstellung
Kulturpanorama Luzern, Ausstellung Werkjahr
Kunstmuseum Luzern, Schweizer Kunst 70/90
1994
Galerie Schönewald und Beuse, Krefeld, en miniature
1995
Kunstmuseum Luzern, sehnen und bänder (E)
Talmuseum Engelberg, Zeichnung Innerschweiz II
1996
Galerie Schönewald und Beuse, Krefeld, Alkohol und Läuse (E)
Galerie Schönewald und Beuse, Krefeld, unsere Zeit
Galerie Benzeholz, Meggen, Luzern, coccus lacca (E)
Kunstmuseum Luzern, Zwischenraum 96–99, Ausstellung Werkbeiträge
2003
Matthew Marks Gallery, New York, torn between two lovers
2006
Jeannie Freilich Fine Art, New York, 100 Watercolors
Galerie Helga de Alvear, Madrid, zeigen, Audiotour von Karin Sander
2009
Temporäre Kunsthalle Berlin, zeigen, eine Audiotour durch Berlin
2010
Kunstmuseum Winterthur, Die Natur der Kunst, Begegnungen mit der
Natur vom 19. Jh. bis in die Gegenwart
2012
Staatliche Kunsthalle Karlsruhe, zeigen, eine Audiotour durch Baden-Württemberg von Karin Sander
2013
Studio Michael Royen, Vettelschoss, Lot im Feuer (E)
2015
Kunstmuseum Winterthur, CHVariationen, Neuere Schweizer Zeichnungen
2016
Museum Bruder Klaus Sachseln, Hans Brändli. Aquarell, Metall, Malerei (E)
2017
Kunstmuseum Winterthur, Kunst / Arbeit / Dieter Schwarz im Kunstmuseum Winterthur
2018
Galleria ARTE-RIA, Locarno, QUASIDACAPO, Pia Fries / Hans Brändli
Pictura Dordrecht, VLUGSCHRIFT / FLUGBLÄTTER
2022
Kunstmuseum Winterthur, Nord – Süd. Perspektiven auf die Sammlung
2024
Ateliers Höherweg 271, Düsseldorf, Hans Brändli / Pia Fries / Bruno Jacob
2025
Galerie Stans, Schweiz, mel zerstreusam